Als der russisch-ukrainische Krieg in vollem Umfang ausbrach und Putins Truppen begannen, ukrainische Städte dem Erdboden gleichzumachen, war das russische TikTok von selbstgerechter Wut erfüllt – nicht wegen des Todes und der Zerstörung, sondern wegen der unterbrochenen Konsumgüter-Lieferungen. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“, möchte man meinen, dem ukrainischen Volke aber Beschuss und Völkermord, der russischen Bevölkerung einen Mangel an Tischen bei Ikea. Jetzt, nach einem Jahr des offen praktizierten Krieges, reisen Russen immer noch für einen Strandurlaub und eine Alkoholvergiftung auf die Krim. Während an der Front die Kämpfe erbittert weitergehen, rast die Bevölkerung Russlands in einem Auto mit ausgefallener Bremse weiter vorwärts. Sie sorgen sich nicht, obwohl politische Loyalität nicht mehr ausreicht, um vor Angriffen des Staates geschützt und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Selbst diejenigen, die den Krieg nicht unterstützen, sehen keine andere Wahl, als sich mit Scheuklappen vor den Augen von der Außenwelt abzuschotten.
Noch vor zehn Jahren hätte man das Rossiyanstvo nennen können. Da war der Hauptunterschied zwischen „uns“ und „ihnen“ ein einfacher und verständlicher. Russkiye – „Russen“ nach der Herkunft und Rossiyane – „Russen“ nach der Staatsbürgerschaft. Leidenschaftliche nationale Kräfte gegen dickbäuchige Bürger, die in alltäglichen Problemen versunken sind. Seitdem hat sich die Bedeutung des Wortes „national“ erheblich verändert und die rechte Bewegung hat eine Spaltung erlebt. Aber der entscheidende Unterschied ist nicht verschwunden und dient weiterhin als charakteristisches Merkmal von Idealisten: die Fähigkeit, Risiken einzugehen und sich für ein hohes Ideal zu opfern.
Das Rossiyanstvo war jedoch nie ein ausschließlich russisches Phänomen. Es ist nur eine Unterart, Philistertum ist ein allgemeines Laster der modernen Welt. Die Folgen des Zweiten Weltkriegs spalteten die Welt zwischen Kommunismus und Liberalismus. Der Liberalismus hatte keine Ideologie, aber er hatte Werte und eine attraktive Lebensweise, der die Länder des sozialistischen Blocks letztendlich nicht widerstehen konnten. Im Gegensatz zum unabhängigen und unkontrollierbaren Idealisten, hat der Westen den „Homo Economicus“ kultiviert: den Durchschnittsmenschen, dessen einzige Motivation materialistische Interessen sind. Die Demokratie stoppt den Protest mit einem antagonistischen Spiel der Parteien und den Radikalismus mit dem Konsumismus.
Karriere und Reichtum können keine Weltanschauung sein, aber sie können eine Art sein, die Welt zu betrachten. Die politische Betätigung beschränkt sich dann auf die Unterstützung von „Karriere“-Politikern, die im Populismus konkurrieren. Der zulässige Aktivismus wird durch den Mainstream im Umwelt- und humanitären Bereich abgesteckt. Das aber befriedigt lediglich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung auf einer primitiven Ebene. Der größte Teil eines solchen Lebens ist von Routine geprägt: die Verfolgung von Karrierezielen, das Geldverdienen um den eigenen Status zu erhöhen, der Konsumwettbewerb, bei dem die Quantität und Qualität von Wohnraum, Autos, Freizeitaktivitäten, Schmuck und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zählt. Wer von den „Blaupausen des Glücks“ abweicht, wird hart bestraft: ihm wird die Lebensgrundlage entzogen und es entsteht sozialer Druck durch Ächtung und auch die strafrechtliche Verfolgung ist keine Seltenheit. Der Liberalismus ist nicht direkt mit der materialistischen Weltsicht gleichzusetzen, aber gerade er führt durch die Weglassung von spirituellen Fragen zur Dominanz des „Homo Economicus“ im öffentlichen Leben.
Gleichzeitig ist die vom Liberalismus gespeiste materialistische Weltsicht nicht die einzig mögliche. Die Alternative während des Kalten Krieges war der Kommunismus, der die Gesellschaft als ewig im Klassenkampf befindlich betrachtete, das System der kapitalistischen Ausbeutung ausgleichen und alle Menschen gleichmachen wollte. Da es keine Rolle spielte, auf welcher Ebene die Nivellierung erfolgen würde, verlagerte sich das Zentrum der kommunistischen Politik hin zu den gesellschaftlichen Unterschichten. Die Vernichtung der Intelligenz und der Freiheit des Geistes, die Negativselektion und die Gleichstellung der Bevölkerung hinsichtlich Armut erfolgte. Man kann sagen, dass beide Ideologien die jeweils andere Seite derselben Medaille sind. Liberalismus und Kommunismus haben diametral unterschiedliche Standpunkte zur Wirtschaftspolitik und damit auch zur Funktion und den Zielen des Menschen. Sie gehen jedoch beide von der Wirtschaftspolitik aus und haben dementsprechend eine gemeinsame Grundlage.
Außerhalb dieses Koordinatensystems liegt die ethnische Weltanschauung. Darin ist die Ökonomie weder Grundlage noch Kriterium für die Beurteilung des menschlichen Wesens. „Es ist mir egal, welcher sozialen Schicht du angehörst und wie viel du verdienst. Wir gehören demselben Blut und demselben Volk an, was bedeutet, dass wir Brüder sind.“ Ethnische Solidarität ist seltsamerweise in semitischen Gemeinschaften weit verbreitet. Muslimische und jüdische Solidarität ist in religiösen Texten verankert, und die größten innerethnischen Spannungen sind vor allem auf ihre unterschiedlichen Interpretationen zurückzuführen. Ein Europäer ist im Wesentlichen ein Individualist, was jedoch nicht bedeutet, dass er zu nationaler Solidarität und einer ethnischen Weltanschauung unfähig ist. Wie die Geschichte zeigt, funktioniert biologisches Denken in der europäischen Gesellschaft am effektivsten mit der richtigen politischen Elite.
Ethnisches (Selbst-)Bewusstsein, nicht nur national-orientierte Politik, muss der Eckpfeiler jedes Nationalstaates sein. Politik ist ein Bereich, der den situativen Veränderungen unterliegt. Anti-nationale Kräfte können in einem Land nicht an die Macht kommen, in dem sich die Mehrheit des Volkes ihrer ethnischen Zugehörigkeit bewusst ist, stolz darauf ist und daher zu ethnischer Solidarität fähig ist. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer ethnischen Gemeinschaft reicht für die kommenden Aufgaben nicht aus, es bedarf auch des Zugehörigkeitsgefühls zu einer supranationalen Gemeinschaft. Genau dieser Herausforderung wird sich Russland unter anderem auf dem Weg zu einem echten Nationalstaat stellen müssen, frei von der sowjetischen Vergangenheit und vom liberalen Spießertum.
Die Soldaten des Russischen Freiwilligenkorps verteidigen mehr als nur die Unabhängigkeit der Ukraine. Sie verteidigen das Recht der Russen auf einen russischen Nationalstaat, der seinem Wesen nach sowohl der sowjetischen als auch der russisch-imperialistischen Geschichte widerspricht. Er beginnt dort, wo man seinen Bruder erkennt – am Blut, am Vorhandensein von nationaler Identität. Als die Ukrainer eine nationale Identität erlangten, wurden sie untereinander Brüder.
Harte Zeiten bringen in der Ukraine ein Volk von Helden hervor. Aber es wird eine Generation heranwachsen, die diesen Krieg vergessen hat. Wenn die Ukraine gewinnt, ist es möglich, dass sie mit einer Fülle von Investitionen in ein „Schaufenster“ der demokratischen Welt verwandelt wird. Damit einhergehen würden eine Verbesserung des Lebensstandards sowie der Versuch, Programme zum interkulturellen Austausch einzuführen und damit den Grundstein für eine Masseneinwanderung zu legen. Das bedeutet aber nicht, dass sich der „Homo Economicus“ durchsetzen wird. Gerade jetzt wird in der Ukraine der Grundstein für einen ethnischen Staat gelegt, der sich in ein sich selbst erhaltendes System verwandeln kann.
Russlands Weg zum Nationalstaat wird in jeder Hinsicht komplizierter sein. Wenn Putin gewinnt, wird die multiethnische Hölle triumphieren. Verliert er, sind gesellschaftliche Umwälzungen vorprogrammiert, bei denen niemand weiß, wer gewinnt. Aber wer auch immer an seine Stelle tritt, wird nur ein weiterer Populist sein, der zwischen den Mühlsteinen liberaler Rhetorik und dem neobolschewistischen Erbe gefangen ist. Die einzige Alternative stellen Menschen, die sich der Notwendigkeit des Übergangs zu einem ethnischen Staat, zur Leistungsgesellschaft und der Förderung der nationalen Solidarität voll bewusst sind. Es reicht nicht aus, einen russischen Nationalstaat aufzubauen – wir müssen der Bevölkerung auch ein neues, ethnisches Weltbild bieten. Eine Welt, in der der sozialer Hintergrund, das Einkommensniveau und das Geschlecht keine Rolle spielt. Wo nur Blut, die Befähigung und der persönlicher Einsatz eine Rolle spielt. Eine Welt ohne fremdrassige Kriminalität und nationale Demütigung. In einem Land, das denen gehört, die dort geboren wurden und seit Generationen ansässig sind. Das Russische Freiwilligenkorps leistet hierfür Pionierarbeit und ebnet damit den Weg für andere.
Peter Weiss für das Russische Freiwilligenkorps


