Die Abkehr von der französischen Revolution und dem Weltbürgertum erfolgte nun, wie hätte es beim damaligen Deutschen anders sein können, keineswegs sogleich aus der Liebe zum eigenen Lande und aus unmittelbarem Hass gegenüber dem Feind, sondern zuvorderst darum, weil die Franzosen die Hoffnungen der Menschheit betrogen hatten. Der große Moment der Menschheit, meinte Schiller, hatte ein kleines und unwürdiges Geschlecht gefunden; die französische Republik sei ein Wert der Leidenschaft und nicht der Weisheit, darum wolle er sich jetzt der Erziehung des Menschengeschlechts zuwenden und von innen her den Grund legen zu wahrer Freiheit. Aber wie schwer war für Schiller doch der Verzicht auf den unmittelbaren Drang und die rasche Tat der Jugend! Er schien ihn fast seine ganze dichterische Glut und die herrliche Leidenschaft seines Herzens zu kosten: fast zehn Jahre lang schwieg er als Dichter und wandte sich geschichtlichen Studien zu, um den Geschehnissen der Staaten und des Völkerdaseins, den großen Augenblicken in den inneren und äußeren Freiheitskämpfen auf den Grund zu kommen, um das Verhältnis von Idealität und Realität zu studieren. Er erkannte, dass zum vollen starken und reinen Menschsein die Verwurzelung im Volkstum gehört und dass im Kampf für sein Volkstum der Mensch seine höchsten sittlichen Tugenden entfaltet.
„Die Liebe zum Vaterland ist sehr lebhaft in mir geworden, und der Schwab, den ich ganz abgelegt zu haben glaubte, regt sich mächtig“, schrieb er schon 1793 an seinen Freund Körner. Wir sehen hier im Bereich des Denkens jenen Umschwung sich vollziehen, ohne den der „Tell“ nicht möglich gewesen wäre, der auch unsere politische Wiedergeburt später mitbestimmte. Ähnlich geht es mit Görres. Unbestechlich erkennte er bald die schlimmen Gräuel der französischen Revolution, zumal die Korruption in der Verwaltung der Rheinlande, er erfasste mit tiefer Erschütterung, dass ein ungeheurer Irrtum die Menschen betrogen hatte, und nach einigen Kampfjahren zog er sich zurück, nahm eine bescheidenen Lehrerstelle in Koblenz an und lebte ganz historische Studien. So aber sah er später den Verlauf dieser Revolution: „Wohl lässt sich alles vielversprechend an, indem ein ungewöhnliches Lebensgefühl und eine frische Begeisterung das Bessere leicht in die Höhe treibt und die ersten Parteien wohl die meisten Gutgesinnten in sich beschließen. Aber da die Achse, die alle Elemente zusammenhält, gebrochen ist und nun jedes seiner eigenen Schwerkraft folgt, so kann die Herrschaft des Geistigen, das wesentlich gemessen und geordnet ist, nicht lange bestehen, und nach den pathetischen Kräften müssen allmählich absteigend die tierischen ihr Recht behaupten und das Regiment führen in einer Zeit, die wesentlich dem Walten physischer Mächten anheimgefallen. Darum muss jede folgende Partei notwendig der vorhergehenden in jeder Art der Übertreibung den Rang ablaufen; jede, der es gelingt, die Angelegenheit um einen Schritt näher zum Extrem zu treiben, wird sicher die gemäßigtere stürzen und verderben, bis endlich die ganze Leiter menschlichen Frevels durchlaufen, alles Bestehende gestürzt, alles Feste zerschmettert, alles Hohe geschleift, aller Besitz gewechselt ist.“
Hier ist der innerste Fehlerquell der französischen Revolution und aller ihr verwandten und nachfolgenden Strömungen aufgerissen: die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben keine aufbauende Kraft, sie treiben immer in einer Richtung weiter, es fehlt die innere Mitte, das Ehrfurcht Gebietende und Unantastbare, die heilige Überlieferung des Volkes, das notwendige Konservative, das ordnende Gesetz, um das alles in festen und natürlichen Kreisen sich lagert. Diese innere Ordnung der Dinge, nicht die tote Form des sterbenden Absolutismus und nicht die Formlosigkeit der französischen Revolution, suchte Görres nun im deutschen Mittelalter auf. Dort fand er ein großes deutsches Kaisertum, einen sinnerfüllten Staat, wahren Glauben und wahren Adel, große Ansichten und Ziele, Freiheit mit Würde und in allem organische Einheit. Er begann die besondere Sendung des Deutschen zu erfassen und findet so in seiner Weise sich durch zur nationalen Idee.
Noch ausgeprägter war bei Fichte der Gedanke der deutschen Weltsendung. Die Franzosen haben versagt, ja gesündigt; die Deutschen werden der Welt ein Reich schenken, das die Ideen des wahren Rechtes verwirklicht; sie sind das „Urvolk“, das die neuere Menschheit verjüngen wird. Nach den abstrakten Theorien des 18. Jahrhunderts erwacht langsam ein historischer Sinn, an die Stelle allgemeingültiger Konstruktion trat der Sinn für das Besondere eines Volkes und einer Zeit, für Landschaft und Brauch, für Farbe und Eigenart.
(Fortsetzung folgt.)