Am Beginn des von der Aufklärung entdeckten autonomen Menschen, der aus der Geborgenheit einer göttlichen Vorsehung entlassen war, stand eine einseitige Vergöttlichung der Vernunft. Heute fragen wir uns: Lebt unsere Freiheit aus dieser Vernunft. Jahre nachdem in ihrem Namen mehr als 40.000 Köpfe abgeschlagen wurden und unzählbare für die Freiheit ihr Leben geopfert haben oder hingeben mussten? Einer Vernunft, von der schon Faust sinnierte, wir bräuchten sie „allein, um tierischer als jedes Tier zu sein“. Schopenhauer, der letzte gründliche Nachdenker zur Freiheit, hat in seiner Schrift über die Willensfreiheit gemeint: wir könnten zwar, was wir wollen, aber was wir wollen, liege in unserem intelligiblen Charakter. Ein im Grunde blinder Wille triebe uns an: Freiheit liege in der uns zugemessenen Charakterstruktur. Unser Schuldigwerden sei Charakterschuld.
In den modernen Verhaltenswissenschaften ist vom „Egoismus-Gen“ die Rede. Eibl-Eibesfeldt spricht vom „vorprogrammierten Menschen“. Bei Arnold Gehlen finden wir in seiner „Moral und Hypermoral“ ein Kapitel, das sich „Physiologie der Tugend“ nennt. Hier ist die Kernfrage angeschnitten. Politische Freiheit meint, dass wir unser Wollen nach selbstbestimmten Wertungen in Handlung umsetzen können, also die Freiheit unseres Tuns. Philosophische Freiheit wäre, wollen zu können, was wir wollen. Nach dem französischen Molekularbiologen und Nobelpreisträger Jacques Monod treiben wir als Zigeuner am Rande des Universums zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Ist Freiheit also die Gegenkraft aller auf kosmischer Gesetzlichkeit ruhenden Notwendigkeiten? Gegen die katholische Lehre der Prädestination, also der durch Gott verfügten Vorbestimmtheit unseres Daseins, stellte Luther die Freiheit eines Christenmenschen, über welche er aber nur als Lehen seines Landesfürsten verfügen konnte, eine bloß religiöse Freiheit aus zweiter Hand. Ist Freiheit bloß ein „Sammelbegriff“, von dem Rivarol meint, er sei „die Wurzel fast aller seiner Irrtümer gewesen“? Trifft zu, was ein anderer französischer Moralist des 18. Jahrhunderts, Joubert, geschrieben hat: „Das größte Bedürfnis eines Volkes ist, beherrscht zu werden, sein größtes Glück, gut beherrscht zu werden.“ Mit anderen Worten: Friede und Wohlstand wären die Gradmesser für die Freiheit. Ist der Mensch im Grunde gar nicht freiheitswillig oder freiheitsfähig? Waren Freiheitskriege nur das Anliegen einer Herrschaftsideologie machtgieriger einzelner oder von Minderheiten? Unsere Frage aber lautet: kann die der Selbstbestimmung von Völkern und die zum Hauptschlager des Liberalismus aufgeblähte Selbstverwirklichung sich auf ein mit uns geborenes Naturrecht berufen? Anders gefragt ist die menschliche Freiheit als Endergebnis einer langen stammesgeschichtlichen Entwicklung jenes Wesentliche, das uns von allen anderen Lebewesen abhebt und den oft erhobenen Ausdruck, Krönung der Schöpfung zu sein, begründet?
Die Idee des Rechts sei Freiheit und die Idee der Freiheit Sittlichkeit, meinte Hegel. Hier finden wir Kants Idee von einer vor und jenseits aller Vernunft gegeben Sittlichkeit fortentwickelt. Ihr zufolge beruht unsere Freiheit darin, dass wir uns vom Zwange unserer Triebe und elementaren Neigungen unabhängig machen und uns einem „kategorischen Imperativ“ unterwerfen. Damit jedoch geraten wir aus dem Regen der Freiheitsidee in die stürmische Traufe der Wertfrage. Gibt es allgemein verbindliche Werte und welche sind es? Wortgeschichtlich hat die germanische Wurzel des Wortes „frei“ mit Freund, Friede, Freien zu tun. Im Gegensatz zum lateinischen „liber“, welches Befreitsein von etwas meint, zielt der im Mittelpunkt des deutschen Idealismus stehende Freiheitsbegriff auf ein Frei wozu. An diesem unterschiedlichen Urverständnis von Freiheit scheiden sich auch Nationalismus und Liberalismus als politische Weltanschauung und Ideologie.
Wer freilich aus der scheinbaren Geborgenheit des historischen Materialismus und den unwandelbaren Gesetzen der Ökonomie der geschlossenen Gesellschaft sich ins offene Feld einer verantwortlich handelnden, also sich selbst bestimmenden Gemeinschaft begibt, wer Freiheit nur als Teilhabe in Gemeinschaft möglich sieht, steht im Widerspruch zum individualistischen und hedonistischen Zeitgeist unseres egalitären Demokratismus. Wir wollen zu zeigen versuchen, dass unabhängig vom wechselnden Bilde, unter welchem sich rechte oder linke Politik heute darstellen, Freiheit eine jedem politischen Handeln vorausgehende Kategorie ist, dass rechts und links nicht bloß historisch entstandene, beliebige Unterscheidungen sind, gar nur vom Zufall der Sitzordnung in der verfassunggebenden Versammlung des französischen Konvents abhängig. Im grundlegenden Verständnis von Freiheit scheiden sich die Geister!
In der scheinbaren Widersprüchlichkeit von Wortpaaren wie Freiheit und Notwendigkeit, Freiheit und Gleichheit, Freiheit und Ordnung, Freiheit und Naturgesetz, Anlage und Umwelt, Willkür und Maß, Individualität und Sozialität, Eigennutz und Gemeinnutz wird uns deutlich, dass Freiheit kein Entweder Oder, sondern ein mit uns geborenes Sowohl als Auch ist. Eine ständige Herausforderung, eine Verheißung, die nicht ist, sondern ständig gelebt werden müsste.
Im Politischen wird Freiheit weitgehend gleichgesetzt mit Demokratie, aber wie schon Tocqueville zur Zeit des Frankfurter Parlamentes behauptete, kann die Tyrannei einer Mehrheit ebenso schlimm wie die eines Einzelnen sein. Selbst der jüdische Mitschöpfer der ersten republikanischen Verfassung Österreichs, Hans Kelsen, hat vor dem inflationären Gebrauch des Demokratiebegriffes gewarnt. Die Freiheitsunterdrückung kann sich ebenso sehr legitimistisch wie diktatorisch oder demokratisch rechtfertigen, unter Berufung auf das Gesetz ausgeübt werden. Wo Demokratie aus einem Mittel zum Zwecke verabsolutiert wird und Demokratismus die Rechtfertigung zur „Demokratenverfolgung“ abgibt, kann sie alle Züge der Tyrannis, etwa des Überwachungs- und Polizeistaates annehmen. Wie besonders die Zeitgeschichte lehrt, ist Zensur nicht auf Diktaturen beschränkt. Freiheit ist nicht mehrheitsfähig, weil 51 Prozent den Freiheitsverlust für 49 Prozent legal erzwingen können. Vor der trügerischen Hoffnung sei gewarnt, die Zukunft liege in der Dialogisierung und Demokratisierung aller Lebensbereiche.
Am Ende der fundamentalen Demokratisierung, welche die geistigen Tabubrecher aus der Frankfurter Schule gefordert und die 68-er Generation gewaltsam in die Tat umsetzen wollte, stünde in Anbetracht unserer menschlichen Natur das Chaos, eine Gesellschaft, welche bloß nach den Regeln eines Sozialdarwinismus lebte. Dass die Überziehung der sogenannten direkten oder partizipatorischen Demokratie Sachlösungen unendlich verzögern oder gar unmöglich und ein Land unregierbar machen kann, führt uns vor allem der „grüne Aktionismus“ oft genug vor Augen. Der Mensch ist und bleibt Kraft seiner Freiheit zur Geschichte verurteilt. Alexander Demandt, der Berliner Historiker spottet: Eine dauerhafte Geschichtslosigkeit erreichen wir nur, wenn wir den post-glazialen (Nacheiszeit-) Menschen, dem die Geschichtlichkeit zur Natur geworden ist, ersetzen durch den posthistorischen. Dem wäre hinzuzufügen, dass dies auch das Ende unserer Freiheit bedeuten würde, da wir durch Geschichtsbewusstsein, d. h. Wissen um Herkunft und Zukunft, Kulturwesen geworden sind. Nicht zufällig beginnt unsere Kulturgeschichte mit Totenkult und Ahnenverehrung. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur eine Natur-Geschichte des Menschen, nur freie Menschen haben Geschichte, Sklaven sind geschichtslos. Dazu noch einmal Demandt: Wer die Vergangenheit verneine, sage nur eine „Drittelwahrheit, weil die Zukunft zu zwei Dritteln von den Vorräten zehrt, die sie der Vergangenheit entnimmt.“ Damit ist die kulturgeschichtliche Wurzel unserer Freiheit bloßgelegt: Geschichtlichkeit ist unverzichtbarer Teil unserer Freiheit! Hellmut Diwald hat dazu geschrieben: „Ein Volk, das sich seiner Vergangenheit berauben, seine Erinnerung verzerren und seinen Selbstwert verstümmeln lässt, entwurzelt seine Existenz.“ Dazu wäre zu ergänzen: wollte man Identität als die Freiheit zu sich selbst beschreiben, dann beginnt der Freiheitsverlust mit dem der Muttersprache und der vom Sieger geschriebenen Gegengeschichte. Wenn wir unter Geschichte ein Geschehen verstünden, welches außerhalb des für den ganzen Kosmos gültigen Gesetzes von Ursache und Wirkung als Ergebnis freier oder willkürlicher Entscheidungen der Menschen abliefe, könnte es jenseits der Freiheit keine Geschichte geben und wäre die Anthropologie, die Lehre vom Menschen, eine bloße Unterabteilung der Zoologie. Die Tatsache, dass die Himmelskunde und die Weltentstehungslehren (Kosmologie) die ältesten Mythen und der eigentliche Anfang einer denkenden, ordnenden Welterfassung zu sein scheinen, macht es wahrscheinlich, dass die frühesten Menschen sich nicht frei sondern gesetz- und ordnungsunterworfen der Macht von Naturkräften und Göttern ausgeliefert haben.
Der Anfang der Freiheit beginnt mit der Entdeckung einer die Welt, ja den Himmelsraum durchwaltenden Ordnung. So widersprüchlich dies fürs erste klingt: nur im Gegenüber von Gesetz und Ordnung können wir uns als freiheitsfähig erkennen; in der Gesetzlosigkeit hebt Freiheit sich selber auf. Mit der Entwicklung des Groß- oder Neuhirns, dem damit möglichen abstrakten Denken und der dann folgenden Sprache entsteht unsere „Zweite Welt“, die der Kultur, und nur dort kann Freiheit im „motivierten“ Handeln in Erscheinung treten. Wir beginnen zu entdecken was die Welt im Innersten zusammenhält und dass wir selber ein Teil von ihr sind. Fortschreitend haben wir die Zwänge unserer Triebe bändigen und bloß instinkthafte Abläufe steuern gelernt. Als instinktreduzierte Geschöpfe wird wachsender Spielraum für vernunftgeleitetes Handeln und Sich entscheiden können gewonnen. Darin allein besteht unsere Freiheit. Hier tritt uns der Mensch als geselliges, später vergesellschaftetes Wesen erstmals als „zoon politikon“ entgegen.
Für Aristoteles liegt das Wesen der Politik im Handeln zur Herbeiführung eines geordneten Zusammenlebens der Bürger der Polis. Die Sozialbiologen, gerne als Sozialdarwinisten und Biologisten abgetan, beschreiben diesen entscheidenden Übergang aus dem reinen Naturzustand der Menschen, als die Fortsetzung der Biologie mit anderen Mitteln. Wer sich diesem gemeinsinnigen Handlungsauftrag entzogen hat, war zu Platons Zeiten ein „idiotes“.
Welche Möglichkeiten gibt es, um die durch den Instinktverlust gewonnenen Freiräume auszufüllen, die Anpassung an unsere Um- und Mitwelt durch zweckgerichtetes und verantwortetes (politisches) Handeln sicherzustellen und die Selbstzerstörung durch einen schrankenlosen Egoismus zu verhindern? Es sind Sinngebung und Wertsetzung. Aus ihnen leiten sich Weltanschauungen als politische Handlungsanweisungen ab. Unter anderem wird so die Idee des Staates geboren. Das heutige Ideologieverdikt, weil Ideologie mit totalem und ausschließendem Wahrheitsanspruch auftrete, übersieht, dass ein ideologisches Wertefundament einen Teil unserer Freiheit darstellt. Hauptaufgabe der Politik war, ist und bleibt es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freiheit und Ordnung herzustellen, ein Ziel, das nur annähernd und nie vollkommen erreichbar sein wird. Es lauern mannigfaltige Gefahren. Unter anderem, dass wir uns selbst verfehlen, wenn unser Menschenbild in einen unlösbaren Widerspruch zu unserer kreatürlichen Wesenheit gerät. Dann etwa, wenn der Liberale die Macht der Vernunft über- und die steinzeitliche Altlast, die jeder als stammesgeschichtliches Erbe mitschleppt, unterschätzt. Vor der Gleichsetzung von Vernunft und Tugend, wie Sokrates sie lehrte, Rousseau sie später aufgegriffen hat, hat Schiller gewarnt: Bis dass den Lauf der Welt Philosophie zusammenhält, erhält sie ihr Getriebe durch Hunger und durch Liebe. Am Ende könnte ein auf bloß materiellen Genuss ausgerichteter Individualismus stehen. Dieser Geist „legt vorerst nur den Quell der öffentlichen Tugend trocken; mit der Zeit greift er alle anderen an, zerstört sie und geht schließlich im Egoismus auf“, so Tocqueville. Der verhängnisvolle Kreislauf des bloßen Produzierens und Konsumierens setzt ein, das ökonomische Denken verdrängt das politische. Die Dreifaltigkeit von Erzeugen-Verbrauchen-Genießen tritt ihre Herrschaft an. Die bürgerliche Freiheit bleibt auf der Strecke. Im späteren Versorgungs- oder Wohlfahrtsstaat wird man Freiheit gegen Sicherheit nur allzu willig eintauschen. Das „frevelhafte Menschenbild“, wie Konrad Lorenz schrieb, eines sich über die Mächtigkeit von Erbe und Anlage erhaben dünkenden Menschen kommt zu Fall.
Gründlich verfehlt hat der Marxismus die Idee des freigeborenen Menschen. Mit Marx hat die Selbstverfremdung des Menschen ihren Tiefpunkt erreicht. Sein um die biologisch-genetische ebenso wie die transzendente Dimension verkürztes Menschenbild hat statt ins versprochene irdische Paradies in die Hölle blutiger, menschenverachtender Diktaturen geführt. Nach Marx ist der Mensch ein Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das jeweilige gesellschaftliche Sein einer Epoche prägte das Bewusstsein ihrer Menschen. Diesen spricht er jede schöpferische Freiheit ab. Marxens Augenmerk richtete sich nicht auf den Einzelnen, etwa den Arbeiter, über den er sich gelegentlich verächtlich und überheblich vernehmen ließ, sondern auf die Arbeiterklasse. Er ruft zur Rebellion „gegen die Herrschaft des Gedankens“ auf, gleich ob sich diese um Religion, Philosophie oder Ideologie drehen. Da die treibende Idee der Freiheit für ihn systemfeindlich weil bürgerlich war, tat er das Jahr 1848 geringschätzig ab. Seine radikale Absage an die Idee der Freiheit wird in der sogenannten Feuerbach Schrift von 1845/46 am Vorabend der 1848-er Revolution entwickelt. Nicht der Schritt von der Natur zur Kultur und damit zu schöpferischer Freiheit mache das Wesen des Menschen aus, sondern der Zwang zur materiellen Warenerzeugung durch Arbeit. Das Eigentum an Boden und Produktionsmitteln und der Geldbesitz hätten zur Entfremdung, Ausbeutung und Klassenherrschaft geführt.
Diese Ideen fanden nur am radikal- linken Rand der Revolution von 1848 Eingang und haben dem eigentlichen sozialen Anliegen des 48er-Jahres geschadet und den reaktionären Kräften des Legitimismus Auftrieb gegeben.
Das Ziel der marxistischen Weltveränderung – die Welterklärung war ihr Anliegen nicht – war daher nicht die Befreiung zur Freiheit sondern zu Gleichheit. Diese aber schließt die Freiheit, deren Wesentliches nicht zuletzt im Recht auf Ungleichheit besteht, aus. Diese wieder ist, um es mit einem Rechtsbegriff zu sagen, ein ius sanguinis, d.h. der unterschiedlichen Anlagen.
Unbeeindruckt blieb Marx von den Erkenntnissen und Entdeckungen der großen Naturwissenschafter seiner Zeit, wie Gobineau, Darwin, Mendel oder Haeckel, welche die Ausbildung von Rassen, Rängen und Ordnungen als ein Bauprinzip der Natur und des Menschen entdeckt und mit Mendel auch ihre Baugesetze fassbar gemacht hatten. Marx übernimmt Proudhons Gesellschaftsphilosophie: Eigentum ist Diebstahl und erst mit seinem Auftreten seien Ungleichheit und Unfreiheit in die Welt gekommen. „Besitz öffnet die Tore für alle Mängel und Missbräuche“. Ähnlich dachte schon Rousseau, für den der Fortschritt der Kultur den Urzustand der Menschheit in Glück, Unschuld und Freiheit beseitigt hatte. Nach der „Lernpsychologie“ sind Bewusstsein und menschliches Verhalten zur Gänze das Ergebnis der jeweils individuellen Erfahrung; die Stunde der Geburt sei die Stunde Null; unsere „Chancengleichheit“ sei also vorgegeben, weil jeder mit leeren Händen anfange. Für schöpferische Freiheit ist da kein Platz. Unterschiede von Intelligenz, Leistungs- und Bildungsfähigkeit seien bloß die Folge unterschiedlicher Lernbedingungen, der Mensch nur ein Bündel von bedingten Reflexen. In diesem System kommen das stammes- und familiengeschichtliche Angelegte, also das Ererbte nicht vor. Jeder einzelne erfinde sich gewissermaßen immer neu. Die Grenzen dieses Selbstschöpfungsvorganges seien durch die vorgegebene Umwelt abgesteckt. Daraus wird man später die unbegrenzte Machbarkeit des Menschen durch Lernen mit jener vom Segen des grenzenlosen und unaufhaltbaren Fortschrittes in ein fragwürdiges Bündel schnüren.
Obwohl die modernen Verhaltenswissenschaften, die vergleichende Kulturmorphologie und –psychologie, vor allem aber die Humangenetik, die Unhaltbarkeit aller Gleichheitsideologien, in welcher Freiheit systemwidrig und kontraproduktiv wären, längst bewiesen haben, bleiben diese Humanwissenschaften, mindestens im deutschen Sprachraum, kaum gesellschaftsfähig, sondern verdächtig. In Abwandlung eines Wortes von Robespierres, die Revolution braucht keine Chemiker, scheint für uns zu gelten: Die Demokratie benötigt keine Biologen. Ein allgemeiner Humanitarismus, der alle Zwischenglieder zwischen dem Einzelnen und einer abstrakten Menschheit – Familie, Heimat, Volk, Vaterland – austilgen möchte, weil sie angeblich den oder die jeweils Anderen diskriminieren, ist von einem nicht weniger abstrakten Demokratismus in Dienst genommen. Beide stehen unter publizistischem und strafrechtlichem Denkmalschutz.
Dass die folgenschwerste Niederlage des deutschen Volkes und die seit Jahrzehnten aufrechte Verweigerung eines Friedensvertrages als „Befreiung“ noch immer gültige Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland und mit geringen Abweichungen auch Österreichs darstellt, beweist wie anpasserisch eingeschränkt Freiheit missverstanden oder missbraucht werden kann. Insbesondere wird nationale Freiheit, d.h. Souveränität im Zeitalter der Globalisierung, auf einem sehr beschränkten Pegel festgeschrieben. Die Unverjährbarkeit der Schuld, als Deutscher geboren zu sein, ist noch immer in den Feindstaatenklauseln der UNO-Satzungen verankert und wirft vor allem die Bundesdeutschen auf das Niveau von Unfreien zurück. Unverjährbarkeit steht im Widerspruch zum traditionellen deutsch-germanischen Rechtsdenken. Dass das nationale Österreich inzwischen in das Lager eines Österreichpatriotismus abschwenkt, den die Rote Armee 1945 in die vielhundertjährige Reichshauptstadt Wien schleuste, bedeutet den Abfall von der zweiten, großen Leitidee, nämlich der auf der ethnisch-kulturellen Identität ruhenden Einheit des deutschen Volkes (I, II, III, IV, V), und ist zugleich eine parteipolitische Anmaßung, die Freiheit der eigenen Identität einem Mehrheitsbeschluss zu unterwerfen. Dass man der größten europäischen Nation, der deutschen, das Selbstbestimmungsrecht verweigert, ist ein Maßstab des eingetretenen Freiheitsverlustes.
Noch einmal zurück zu allgemeinen Überlegungen. Nach der Auseinandersetzung mit dem liberalen und marxistischen Freiheitsverständnis, wäre auch noch das Verhältnis der Kirchen und Religionen zu den Freiheitsideen zu streifen. Mit der Forderung der Trennung von Kirche und Staat war natürlich auch dort das Gottesgnadentum in Frage gestellt. Für die endzeitlich ausgerichteten Kirchen sind alle Menschen, weil gleich vor Gott, gleich. Der Mensch ist nicht die Frucht einer unendlich langen, stammesgeschichtlichen Entwicklung, deren Laster er rational sich nicht zu entledigen vermöge, sondern Gottes ebenbildliches Geschöpf, dank der ihm eingehauchten Seele außer und über die Natur gestellt, die er sich untertan machen soll. Seine Freiheit ist durch das ihm offenbarte göttliche Gesetz bestimmt. Das Dogma von der Erbsünde ist mit der Vorstellung vom freien, autonomen Menschen schwer vereinbar. Eine anthropologische Auslegung dieser Offenbarungsgewissheit könnte dahin gehen, dass sie die Begrenzung unserer Freiheit durch eine „genetische Erblast” in einem Bilde ausdrücke.
Wer in der unbezweifelten Wahrheit zu stehen vermeint, ist durch geistige Trägheit und Intoleranz gefährdet; wer sich selber als absolut setzt, wird das Chaos eines Wertpluralismus heraufbeschwören, der jede verbindliche Ordnung und mit ihr jegliche Freiheit aufheben würde. Freiheit kann so zum Danaergeschenk werden. Man denke an das, was sich heute unter dem Anspruch auf Freiheit der Kunst und der sexuellen Befreiung in unserer Gesellschaft abspielt. Bei vielen weichenstellenden politischen Entscheidungen, wie der Aufgabe des Rechtsschutzes des Ungeborenen, des gemeinschädlichen, zum sozialabweichenden verniedlichten Verhaltens, der Bewertung im Wortsinne widernatürlichen Sexualität und daraus abgeleiteter rechtlicher Schlussfolgerungen, der Einwanderungs- und Integrationspolitik vieler europäischer Länder, beruft man sich auf die „Freiheit als höchstes Gut“.
Die Anthropologie hat dem Menschen die unterschiedlichsten Beiwörter gegeben: homo ludens (der Spielende), homo faber (der Werkende), die Teilumsetzung der Aufklärung machte ihn zum homo liber, den sich frei Entscheidenden. Seiner Natur nach ist er aber ein homo dubitans, einer der alles und sich selbst hinterfragt: dubito, ergo sum (weil ich zweifle, erkenne ich mich). Der Mensch ist, wie Eibl-Eibesfeldt sagt, ein „riskantes Wesen“. Sein Risiko beginnt sprunghaft dort anzusteigen, wo sein stammesgeschichtlich entwickeltes Programm endet. Dessen Grenzen sind strittig, nicht aber die Tatsache als solche. Die angemaßte Freiheit wird enden müssen, wo sie mit diesem Programm in fundamentalen Widerspruch gerät und glaubt, die Natur mit der Mistgabel von Ideologien oder absoluten Wahrheiten austreiben zu können.
Zu den vor allem von sogenannten Liberalen gerne geleugneten Tatsachen, gehört auch jene, dass eine Voraussetzung, überIeben zu können, die Fähigkeit zur Aggressivität ist. Nicht zuletzt ist es ein konstruktives Element jeder Staatlichkeit, diese aggressiven Potentiale nach innen in die Fesseln von Sitte und Gesetz zu legen, sie nach außen zur solidarischen Verteidigung zu bündeln. Das Machtmonopol des Staates soll Freiheit nach innen und außen gewährleisten.
Welche Anforderungen sind aus anthropologischer Sicht an die Freiheitsidee zu stellen? Als absoluter Wert gesetzt, müsste sie zur Selbstzerstörung führen. Freiheit hat vorrangig eine soziale Genese und eine soziale Funktion. Diese Funktion erfüllt sie als selbstbestimmende Kraft im Gemeinwesen nach Spielregeln, das heißt Wertordnungen, auf welche man sich geeinigt hat. Diese werden sich aus naturrechtlichen und positivistischen Wurzeln speisen. Es hieße die menschliche Natur mit ihren Möglichkeiten zum Guten und Bösen gründlich verkennen, zu glauben, dass auf die bis in vormenschliche Lebenswelten nachweisbaren Mittel von Lohn und Strafe verzichtet werden könnte. Ohne sie wäre auch nur eine Annäherung an einen ausgewogenen Zustand in Freiheit des einzelnen und Ordnung im Ganzen unerreichbar.
Die richter- und gefängnislose Zeit taucht am Horizont vieler Revolutionen auf: sie gehört ins Reich Utopia. Schlecht bestellt wäre es aber mit einem Volk oder einer Gesellschaft, wo neben Polizei und Staatsanwaltschaft nicht eine selbsttragende Sitte träte, die als Tugend (virtus) neben oder eher vor den Ordnungsmitteln des Staates stünde. Sie, die Tugenden sind der eigentliche Ausdruck der Freiheit. Dieses Grundproblem aller Politik wurzelt zutiefst in unserer Natur oder, um mit Teilhard de Chardin zu reden, in unserer „condition humaine“. Selbige scheint nicht menschenrechtlich sondern familien- und volksbezogen ausgerichtet.
Gegenwärtig ist an die Stelle des Mutes zur Freiheit, die Angst vor ihr getreten. Die Folgen dieser „Domestikation“ hat Konrad Lorenz als „Verhausschweinerung“ bezeichnet. In besorgniserregendem Umfang haben wir uns an ein Leben aus zweiter Hand gewöhnt. Unser politischer, kultureller und wirtschaftlicher Denk- und Handlungsbedarf wird fast unreflektiert aus fremden Programmen übernommen. Dieser passive Freiheitsverlust endet, wie Oswald Spengler es für spätere Kulturen beschrieben hat, im geistigen Fellachentum. Neben anderen hat der um die vorletzte Jahrhundertwende einflussreichste jüdische Kulturkritiker Max Nordau (recte Südfeld) dies als Degeneration oder Entartung bewertet, womit eben ein biologischer Prozess beschrieben wäre. Wiederholen wir noch einmal: Aufgabe der Politik ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freiheitsbedürfnis und Ordnungserfordernis herzustellen und aufrechtzuerhalten. Dies wird nur gelingen, wenn wir den Menschen in seiner Doppelnatur wahrhaben. Seine im Wollen und Handeln erlebte Freiheit ist begrenzt. Ihre Absolutsetzung wie ihre Missachtung führen ins Verderben. Wille zur Freiheit kann auch als psychische Energie verstanden werden. Soll sie nicht verkümmern, will sie geübt und gepflegt sein. In den seit der Cro-Magnon-Aurignac-Epoche des homo sapiens durchlebten 30.000 Jahren haben sich unsere psychisch-physischen Strukturen kaum verändert. Das metaphysische Freiheitsproblem wird ungelöst bleiben; das politische scheint aber lösbar. Darüber nachzudenken ist ein Akt geistiger Freiheit.