Ob nun der Bräunungsgrad von Pommes frites reguliert werden soll oder Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen steuerfreiem Hausbrennen eingeleitet werden – die EU-Kommission mischt, als nicht gewähltes Organ, in allen Lebensbereichen mit. Während die Gurken-Verordnung 2009 gegen die Stimme Österreichs aufgehoben wurde, soll es aktuell fast 90.000 Vorschriften aus Brüssel geben. Der EU-Zentralismus nimmt damit immer unüberschaubarere Formen an. Hinzukommt die Auslegungsmacht der europäischen Gerichte. Zur Auslegungsmacht des EGMR hat sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits am 14.10.1987 sehr eindringlich geäußert. In seinem Erkenntnis zu B 267/86 führt er aus:
„Wenn auch bei der Auslegung internationaler Verträge nicht auf das Verständnis abgestellt werden kann, das einzelne Mitglieder beim Abschluß oder gar erst bei ihrem späteren Beitritt zugrundegelegt haben, ist das Verständnis Österreichs im Verein mit der Rechtslage in anderen Staaten und der langjährigen Praxis der Kommission doch ein wichtiges Anzeichen dafür, daß nach seinem ursprünglichen Sinn der Begriff ‚civil rights‘ einen viel engeren Inhalt hat als ihm die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterstellt. Diese Rechtsprechung erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben.“
Als der Flüchtlingstsunami im Jahr 2015 über uns hereingebrochen ist, waren nur sehr naive Menschen wirklich überrascht. In Wahrheit hatte die bundesdeutsche Regierung schon 2013 darauf gedrängt, die Verordnung Nr. 562/2006 (Schengener-Abkommen) teilweise umzugestalten. Nach diesem Abkommen ist es der Polizei, mit 10- bzw. 30-tägigen Ausnahmen nach terroristischen Anschlägen bzw. vor Großveranstaltungen, nur möglich EU-Innengrenzen insofern zu kontrollieren, als die polizeilichen Kontrollen „nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt“ sind. Gemeinhin behelfen sich Staaten auch mittels Schleierfahndung. Gemäß Art. 23 Abs. 1 des Schengener-Abkommens sind im Falle „einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ die Grenzen außerdem für 30 Tage zu schließen – eine Verlängerung ist möglich. Doch gemäß Art. 26 des Abkommens ist dies „nur nach Benachrichtigung der anderen Mitgliedsstaaten und der Kommission“ möglich. Ziel dieser Benachrichtigung ist es nach Art. 24 Abs. 3 des Abkommens „eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu organisieren und zu prüfen, ob die Maßnahmen im Verhältnis zu den Ereignissen stehen, die der Anlass für die Wiedereinführung der Grenzkontrollen sind“. Das war der bundesdeutschen Regierung dann doch zu viel Krimskrams. Das Volk hätte dann vielleicht auch noch mitbekommen wie man als Motor der EU von unbedeutenden Staaten, in denen noch dazu keiner der Invasoren leben will, drangsaliert wird und bei einem dann notwendigen Alleingang hätte ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gedroht.
Aus diesem Grund hat man sich 2013 entschieden einen Notfallmechanismus zu installieren. Damals einigten sich die Schengen-Länder, die EU-Kommission und das Europäische Parlament vor dem Hintergrund des „Arabischen Frühlings“ darauf, wegen der vielen Flüchtlinge im Notfall die Innengrenzen für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren kontrollieren zu dürfen. Selbstredend auch nur unter Zustimmung der EU-Kommission. Während diese seit September 2015 die Grenzkontrollen jeweils für sechs Monate zugelassen hat, wurde im November 2016 nur eine Verlängerung bis Februar 2017 beschlossen. Als Grund hierfür wurde das Interesse der osteuropäischen Staaten an einem grenzkontrollenfreien Schengen-Raum genannt. Im Februar dieses Jahres erlaubte die Kommission die Grenzkontrollen dann wieder bis Mai, um sie schließlich bis November zu verlängern. Diese Verlängerung soll laut EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos (Partei „Νέα Δημοκρατία“, dt. „Neue Demokratie“) die letzte Verlängerung sein und die Grenzkontrollen sollen in dieser Zeit bereits schrittweise auslaufen.
Doch nicht nur bezüglich des Staaten erst begründenden Grenzschutzes hängen wir am Gängelband der EU. Wie europäische Gerichtshöfe die Ausländerrückführung torpedieren und welche Auswirkungen das auf die Rechtssprechung des VfGH hat, haben wir bereits berichtet. In diesem Zusammenhang wollen wir auch auf den Fall „Hirsi Jamaa“ (Individualbeschwerde Nr. 27765/09) hinweisen. 2009 waren 24 Personen aus Somalia bzw. Eritrea von Libyen in Richtung Italien gestartet und 35 Meilen südlich von Lampedusa von der italienischen Küstenwache abgefangen, auf Schiffe des italienischen Militärs verbracht und nach Tripolis zurückgefahren worden. Grundlage hierfür war ein als „Freundschaftsvertrag“ bezeichnetes Abkommen mit Gaddafis Libyen aus dem Jahr 2008, das am 4.2.2009 in Kraft getreten war. Gegen diese Rückführung klagten die vorläufig gestoppten Einwanderer vor dem EGMR. Mit seiner am 23.2.2012 ergangenen Entscheidung sah er unter Anderem Art. 3 EMRK insofern verletzt, als Italien nicht sichergestellt habe, dass die libyschen Behörden die Flüchtlinge nicht in ihre Herkunftsländer zurückschicken werden. Da man am EGMR mehrere andere Verstöße festgestellt hat, sah sich Italien gezwungen das Remigrationsabkommen aufzukündigen.
Dieser Beitrag eines europäischen Gerichts zum großen Austausch ist aber noch nicht genug. In unserem Artikel über die rechtswidrige Öffnung der Grenzen haben wir auch über die Klagen Ungarns und der Slowakei berichtet. Am 26.7.2017 empfahl der EuGH-Generalanwalt, Yves Bot, die Klagen der Länder gegen den Invasoren-Umverteilungsbeschluss des Rates (1601/2015) vom 22.9.2015 abzuweisen. Mit Urteil vom 6.9.2017 zu C-643/15 bzw. C-647/15 folgte der EuGH dieser Empfehlung und wies die Klagen ab.
Welche Auswirkungen diese Entscheidung auf den Bestand der EU, die Autorität des EuGH und die Flüchtlingspolitik insgesamt haben wird, wird sich zeigen. Allen voran Ungarn hatte in seiner Klage stets betont, dass der Umverteilungsbeschluss die Souveränität des Staates untergrabe und die Sicherheit der Bürger gefährde. Dementsprechend hat der ungarische Außenminister Peter Szijjarto nach Bekanntwerden des Urteils reagiert. In einer ersten Stellungnahme hat er die Entscheidung als „hanebüchen und unverantwortlich“ kritisiert. Es handle sich um „ein politisches Urteil, das das europäische Recht und die europäischen Werte vergewaltigt“. Er kündigte an sein Land werde weiter gegen den Versuch vorgehen, Mitgliedsstaaten der EU zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen. Flüchtlinge werde Ungarn jedenfalls keine aufnehmen. Der slowakische Wirtschaftsminister Peter Žiga bezeichnete das Urteil als „irrelevant“ denn „die Quote funktioniert nicht“.
Wie man anhand dieser Grafik sieht, funktioniert die Umverteilung tatsächlich nicht. Bevor wir uns näher damit beschäftigen müssen wir festhalten, dass der Umverteilungsbeschluss in einer Innenministerkonferenz gefasst wurde. Entscheidungen dieses Ausmaßes werden im Normalfall jedoch von den Staats- und Regierungschefs gefasst. Da dort aber ein Einstimmigkeitsprinzip gilt und dieses nicht zu erreichen gewesen wäre, wurde die Beschlussfassung kurzerhand an die Innenminister delegiert. Gemäß des Vertrages von Lissabon sind in solchen „Fachminister-Gremien“ Mehrheitsentscheidungen möglich. Ungarn und die Slowakei monierten in ihrer Klage auch diesen Umstand als Verfahrensfehler. Da der Vertrag von Lissabon diese Mehrheitsentscheidungen bei strittigen Angelegenheiten aber ausdrücklich vorsieht, wurde auch dieser Einwand vom EuGH verworfen.
In der Innenministerkonferenz haben neben den Klägern Ungarn und Slowakei noch die Tschechei und Rumänien gegen die Verteilung der Flüchtlinge gestimmt. Die Rolle Polens ist insofern interessant, da sich Polen unter seiner Ministerpräsidentin Beata Szydło nach dem erfolgten Regierungswechsel – die Vorgängerregierung (Regierung Ewa Kopacz) hatte der Quote zugestimmt – den Klagen angeschlossen hatte. Konsequenterweise haben Ungarn und Polen deshalb an der Verteilung der Invasoren auch nicht teilgenommen. Die Slowakei hat als klagender Staat 1,8% seiner Quote erfüllt. Während Rumänien trotz Gegenstimme 17,4% seiner Quote erfüllt hat, erfüllte die ebenso gegen den Beschluss stimmende Tschechei lediglich 0,4% seiner Quote. Angesichts des Verhaltens von Rumänien ist jedoch davon auszugehen, dass die Staaten, die für die Umverteilung gestimmt haben, diese zumindest in diesem Ausmaß umgesetzt haben.
Wir wollen uns in diesem Zusammenhang den Musterschüler der EU, die Republik Österreich, ansehen. Bei Musterschülern handelt es sich bekanntlich um diejenigen, die immer ein Auge beim Lehrer und eines bei den Mitschülern haben, um im richtigen Moment „Bitte, ich weiß was“ rufen zu können. Was auch immer die Gründe für ein solches Verhalten sein mögen, die eigene tadellose Leistung kann es zumindest bei der Republik Österreich nicht sein. Denn Österreich hat lediglich 0,8% seiner Quote erfüllt! Besonders grotesk wird es wenn man weiß, dass ÖVP-Innenminister Sobotka die Quote eigentlich zu 2,6% erfüllen wollte. Er wollte nämlich zunächst 50 Asylwerber aufnehmen. Doch der SPÖ war dies in Wahlkampfzeiten zu viel. Deshalb hat der nicht gewählte Kanzler Österreichs auch einen Bettelbrief nach Brüssel geschickt. Doch die EU-Kommission sagte: Nein! So sah sich die SPÖ dann gezwungen zumindest 15 Flüchtlinge im Rahmen des Umverteilungsprogramms einfliegen zu lassen.
Es werden auch immer wieder Stimmen laut, die Österreich nur als „Wurmfortsatz“ der BRD begreifen wollen. Wenn sich die beiden deutschen Staaten auch sehr ähnlich sind, wollen wir trotzdem lieber vom großen Bruder BRD sprechen. Große Brüder dienen bekanntlich als Vorbild und wir müssen feststellen, dass die BRD ihre Quote zu 28,5% erfüllt hat. Folgerichtig sieht auch der Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament, der Kalergi-Freund Othmar Karas, dank des EuGH Urteils vom 6.9.2017 jetzt „keine Ausreden“ mehr die Umverteilung nicht umzusetzen. Solidarität sei „kein Basar“, ließ er verlautbaren. Wird er seine Partei noch vor der Wahl am 15.10.2017 auf Kurs bringen?
Aber auch der SPÖ-Europamandatar Josef Weidenholzer wird in seiner Partei noch Überzeugungsarbeit zu leisten haben, ehe er sich wirklich „erfreut“ vom Urteil des EuGH zeigen kann. Die Vorsitzende der Polit-Sekte „Die Grünen“ bezeichnet das Urteil gar als „ein Meilenstein für die europäische Flüchtlingspolitik“ und der NEOS-Europaabgeordneten Angelika Mlinar wird in „Zeiten wie diesen bewusst, welche bedeutende Rolle die Rechtsstaatlichkeit spielt“.
Einzig die FPÖ befürchtet „fatale Folgen“. Da die anderen im Parlament vertretenen Parteien jedoch für die Umverteilung sind, wird diese auch sicher noch vor der Wahl erfolgen. Denn die Zeit drängt. Denn die derzeitige Sprecherin unseres großen Bruders, Merkel, sagt bereits man müsse über Ungarns Weigerung das Urteil des EuGH zu akzeptieren „beim Europäischen Rat im Oktober reden“. Und der Adressat des Bettelbriefes, der Präsident der Europäischen Kommission Juncker, sagt gar man „beraube die Bürger ihrer Grundrechte“, wenn man sich an EuGH Entscheidungen nicht halte.
Wie wird sich unser Musterschüler nun verhalten? Wird er tatsächlich zum „Wurmfortsatz“ indem er seinem großen Bruder auf Schritt und Tritt folgt? Und wenn ja, wann?