Demokratie – Volksherrschaft – System?
„Demokratie“ bedeutet ihrem Wortsinn nach tatsächlich „Volksherrschaft“ – abgeleitet aus den griechischen Worten dēmos (Volk) und kratía (Herrschaft). Dies allein stellt zunächst jedoch nur den Unterschied zu anderen Herrschaftsformen, zum Beispiel zur Herrschaft des Adels (Aristokratie) oder der Kirche (Theokratie), dar.
Anfang dieses Jahres veröffentlichte das Linzer Market-Institut die Zahlen einer Umfrage die für den STANDARD erstellt wurde. Gestellt wurden Fragen wie „Haben Sie das Gefühl, mit Ihrer Stimme bei Wahlen etwas bewegen zu können?“ Die Antworten werden einigen nicht gefallen: Ein Viertel der Befragten sagt „eher nicht“, und jeder elfte Befragte sagt sogar „sicher nicht“.
„Was halten Sie von der Demokratie, so wie sie in der österreichischen Verfassung festgelegt ist?“ Von der halten 17 Prozent wenig bis nichts!
Auf die Frage „Wie hat sich Ihrer Meinung nach das demokratische System in den vergangenen Jahren in Österreich entwickelt?“, antworten 37 Prozent, es sei weniger demokratisch als damals. Bereits neun Prozent halten einen „Führerstaat“ für die bessere Variante der Staatsverwaltung. Fünf Prozent der Befragten wünschen sich eine Militärdiktatur und würden damit als Liste sogar den Sprung in den Nationalrat schaffen, wäre ein Antreten in Österreich nicht durch diverse Staatsschutzgesetze verboten.
54 Prozent würden einer Expertenregierung nicht gewählter Abgeordneter den Vorzug geben. Alles in allem schneidet die Demokratie gegenwärtiger Prägung also nicht allzu gut ab.
Aristoteles untersuchte Herrschaftsformen danach, ob sie zum Nutzen aller oder zum Nutzen der Herrschenden angelegt seien. In diesem Zusammenhang stellte er zum Nutzen aller Monarchie, Aristokratie und Politie in eine Reihe, wohingegen Tyrannis, Oligarchie und Demokratie zum Nutzen der jeweils Regierenden angelegt waren. Geht man philosophisch nun davon aus, dass der Mächtige stets primär zum eigenen Nutzen handeln wird, so ist aus Sicht des Beherrschten der Monarch der Tyrann, der Fürst der Oligarch, der Mensch aus dem Gemeinwesen (gr. polis) der Demokrat. Folglich kommen faktisch nur Tyrannis, Oligarchie oder Demokratie als reale Herrschaftsformen in Frage. Da polis begrifflich alle den Staat und das Gemeinwesen umfassenden Angelegenheiten beinhaltet, erscheint folgerichtig, dass – wenn schon der Herrschende stets zu seinem eigenen Nutzen regieren wird – das Volk idealerweise selbst herrscht, um Ungerechtigkeit gerade gegenüber diesem Volk zu verhindern.
Diesem Gedanken lässt sich jedoch entgegenhalten, dass beispielsweise im antiken Athen alle männlichen Vollbürger ab 20 Jahren eine Versammlung bildeten, die bei wichtigen Beschlüssen mindestens aus 6.000 Mitgliedern bestehen musste. Insgesamt lebten in Athen nur 40.000 männliche Vollbürger, sodass – wollte man die Republik Österreich in selber Weise regieren – wichtige Beschlüsse durch die Mehrheit aus mindestens 1,11 Millionen Staatsbürgern ergehen müssten. Dies ist jedoch nicht der Fall – stattdessen werden diese Beschlüsse im Parlament durch mindestens 31 Abgeordnete (die Anzahl der notwendigen Stimmen der Parlamentarier, richtet sich nach der Art des zu befassenden Beschlusses) gefasst. Selbst also, wenn man idealisiert annimmt, der Nationalrat wäre aus der „Mitte des Volkes“ in freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen, herrschen damit nicht die „Menschen des Gemeinwesens“, sondern nur ein Teil von ihnen.
Wenn zwingend ist, dass die Herrschenden zum eigenen Vorteil handeln, so müssten – soll es vorteilhaft für das Volk sein – alle Menschen aus dem Volk herrschen. Durch die Wahl von Repräsentanten fällt jedoch keinerlei Entscheidung über Herrschaftsinhalte, sondern nur über Personen, die dann oftmals sogar konträr zu ihren Versprechen im Wahlkampf handeln.
Als Alternative wird oft die „direkte Demokratie“ gepriesen. Hierbei soll das Volk selbst in Abstimmungen über Einzelfragen konkrete Herrschaftsinhalte beeinflussen. Zweifellos würde das Volk „zum eigenen Nutzen“, also beispielsweise gegen jede Steuererhöhung, votieren. Fraglich ist aber, ob solche Entscheidungen
1. fachlich vertretbar wären und
2. nicht zu starken Einflüssen von Demagogen [Medien] ausgesetzt wären, sodass faktisch lediglich eine Herrschaft der Massenmedien die Herrschaft der demokratischen Machthaberclique ablösen würde.
Dies führt zu der Frage, ob jeder Einzelne innerhalb eines Volkes überhaupt intellektuell in der Lage ist, die Politik des Staates zu gestalten. Eine Analyse dieser Frage ist müßig, kann doch jeder politisch denkende Mensch aus dem Stehgreif bereits sagen, dass die übergroße Mehrheit der Menschen in seinem Bekanntenkreis hierzu nicht in der Lage ist. Dies ist kein Schwächezeichen für ein Volk, sondern eine naturgegebene Tatsache – ein Volk voller Juristen und Wirtschaftswissenschafter könnte weder Brot backen noch Maschinen bauen, wäre mithin nicht lebensfähig und deshalb lange schon ausgestorben. Es ist deshalb fernliegend, das gesamte Volk für politische Einzelentscheidungen bemühen zu wollen; sollte tatsächlich jeder Angehörige des Volkes eine umfassende Meinung zu jeder sich stellenden politischen Frage bilden müssen, käme das reale Leben innerhalb des Staates zum Erliegen. Ohne umfassende Meinungsbildung wäre ein sinnvolles Abstimmungsverhalten ausgeschlossen und damit auch das Entstehen richtiger politischer Entscheidungen.
Die eben dargestellte Argumentationsweise wird selbst von den Herrschenden gegen die direkte Demokratie gebraucht. Eine Antwort bleiben sie aber stets schuldig, wenn danach gefragt wird, was „die Mehrheit“ dann befähigen soll, sinnvoll über die Zusammensetzung der Parlamente zu befinden, wo es ihr doch nachweislich an politischem Sachverstand fehlt.
Kritisiert man die Demokratie als Staatform, so wird auch von nationaler Seite allzu oft darauf verwiesen, dass das System der Demokratie heute zwar schlecht, in seinen Grundsätzen jedoch besser sei als alles, was als Alternative in Frage käme. Man müsse die Demokratie nur „richtig machen“, zum Beispiel die in der Verfassung verankerten Grundrechte beachten. Demokratie heiße schließlich „Volksherrschaft“, und was könnte eine Bewegung für das Volk gegen die Umsetzung dieser Volksherrschaft einzuwenden haben?
In Wahrheit wurde und wird die Verfassung systematisch ausgehöhlt, indem potentiell verfassungswidrige Gesetze als Verfassungsbestimmung im einfachen Bundesgesetz oder Verfassungsgesetz beschlossen und damit der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen wurden. Außerdem ist schon das Abstimmungsverhalten im Nationalrat offensichtlich teilweise verfassungswidrig. Art. 56 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes garantiert den Parlamentariern das freie Mandat, also das Recht, ihr Mandat unbeeinflusst von rechtlichen Bindungen auszuüben:
„Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden“ – und damit auch an keinen Auftrag vonseiten ihrer Partei oder Fraktion. In Wahrheit gibt es den oftmals bestrittenen Klubzwang! Wie dieser in seltenen Fällen umgangen wird bzw. wie schnell sich das Abstimmungsverhalten ganzer Parteien in der Praxis ändert, haben wir hier berichtet.
Die Gleichsetzung von Demokratie und Volksherrschaft ist jedem Österreicher seit dem Kindesalter unentwegt vermittelt worden. Welcher Voraussetzungen bedarf eine Volksherrschaft?
Gemeinschaftsidentität als Grunderfordernis
Doch auch unter den verhältnismäßig Wenigen innerhalb einer Gemeinschaft, die intellektuell politikfähig wären, stellt sich ein Problem: Neben der geistigen bedarf es der moralischen Eignung. Hier liegt das Schlüsselproblem der Demokratie. In einer moralischen Vorstellungswelt, in der die Freiheit des Individuums und dessen Selbstverwirklichung höchsten Stellenwert genießen, wird die philosophische Aussage Aristoteles‘ hinsichtlich des Herrschens zum eigenen Nutzen um ein wesentliches Moment verkürzt: Der Mensch aus dem Gemeinwesen, der zum Herrscher gewählt wird, ist in seiner Identität nur Mensch, nicht aber Bestandteil seines Volkes, ohne welches er niemals existiert hätte. Er identifiziert sich deshalb nicht mit „dem Volk“, sondern allenfalls mit der Machtclique selbst, wo es eben nötig ist. Nimmt man nun mit Aristoteles an, dass die Mächtigen zum Nutzen ihrer selbst herrschen, so herrschen diese Demokraten [die Abgeordneten zum Nationalrat] zum Nutzen ebendieser Demokraten [der Nationalratsabgeordneten], ganz so, wie der Monarch als Tyrann oder der Aristokrat als Oligarch. In den Auswirkungen dieser Herrschaft macht es für das Volk keinen Unterschied, ob eine herrschende Gruppe sich „Adel“ oder „Demokraten“ nennt.
Dadurch, dass die Parlamentarier nach Wahlen, wenn überhaupt, weit überwiegend nur die Plätze der Regierungsmehrheit und der Opposition tauschen, nicht aber durch gänzlich neue „Menschen des Gemeinwesens“ ersetzt werden, wird dieser Effekt noch verstärkt: Wer über mehrere Legislaturperioden Mitglied des Nationalrates war, wird schwerlich von sich behaupten können, sich nicht als Bestandteil einer „herrschenden Gruppe“ zu fühlen.
Wenn Monarchie, Aristokratie und Demokratie zu Auswahl stehen, sich aber niemand mit seinem Volk, sondern jeder nur mit sich selbst identifiziert, so ist es völlig egal welche Herrschaftsform letztlich besteht – immer wird es eine identitätsstiftende herrschende Gruppe geben, die zum Nutzen dieser herrschenden Gruppe regiert. Das Modell der Demokratie könnte so nur in verhältnismäßig kleinen Gemeinschaften funktionieren (Beispiel Athen) – denn wenn sich keine herrschende Gruppe herausbilden kann, weil faktisch alle an den Abstimmungen teilnehmen, besteht letztlich eine Herrschaft zumindest durch die Gemeinschaft, nicht jedoch zwingend zu deren Wohl.
Im System der jetzt Herrschenden hat sich eine egoistische Einstellung als vorzugswürdig durchgesetzt, da jene, die ihr am konsequentesten folgen, es zu den größten Reichtümern oder den mächtigsten Positionen im Staate bringen konnten. Gleichsam ist mit dieser Lebenshaltung unweigerlich das Aussterben des deutschen Volkes in Österreich verbunden, wie es demografische Statistiken zweifelsfrei belegen.
So mancher Leser wird von uns an dieser Stelle eine Lösung des Problems erwarten. Diese sei mit den Worten des begnadeten Friedrich von Schiller angedeutet:
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn.
Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
um Brot und Stiefel seine Stimm’ verkaufen.
Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen.
Der Staat muß untergehn, früh oder spät,
wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.Demetrius I. (Sapieha)